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Manuel Aldana

Tagesablauf

In Camphill ist der Tagesablauf immer fest geregelt, jeder Tag läuft also Woche für Woche gleich ab. Das ist nötig, weil die Kinder (besonders Autisten) ihre Orientierung aus einem geregelten Tagesablauf nehmen. Mir ging das allerdings ein bisschen auf den Keks, da ich meinen Tag doch eher flexibel gestalte. Aber wenigstens haben sich die Kinder nicht immer gleich benommen und das Wetter war auch manchmal unterschiedlich…

Morgen

Der Tag fing echt hart an! Morgens so um 6:45 aufstehen, Kinder aufwecken. Die meisten Kinder waren nicht das Problem, aber mein Zeitgenosse von nebenan schon.
Absolut stur wollte er einfach nicht aufstehen, nicht weil er keinen Bock auf den neuen Tag hatte, sondern aus Prinzip, weil ich ihn darum “gebeten” hatte. Naja, man lernt ja aus seinen ersten naiven Fehlern. Der einzige Weg in aus den Federn zu locken war, ihn auszutricksen mit überraschenden Ansprachen wie “Schau da steht ein Clown in der Einfahrt” oder “Ein Kaninchen da draußen braucht deine Hilfe”. Bei solchen Aktionen war er dann immer selber so von seiner Sturheit abgelenkt, dass es aus dem Bett sprang, aus dem Fenster schaute immer etwas verwirrt fragte: “Wo denn?”. Danach konnte er sich nicht mehr erinnern, dass er mich ja mit dem “Nicht-Aufstehen” ärgern wollte, zog sich an und es ging runter in den Hauseingangsbereich zum Singen.

Das Singen (jeden Morgen!) war fast schlimmer als die Kinder zum Aufstehen zu bringen. Man stelle sich vor: völlig müde stehen alle in einen Kreis, Walldorf-Liedtexte für die musikalisch völlig fehlkomponierten Lieder werden rausgekramt und dann setzen einige Leute zum atonalen völlig schiefen Gesang an, wir armen Co-Worker müssen gute Miene zum Ohrfolterspiel machen, und das um 7:15, man war jetzt geschockt aber auch einigermaßen wach, um zu frühstücken. Frühstück war immer relativ unspektakulär, besonders weil die Kinder alle zu müde waren, um ihre Eigenheiten wie im weiteren Verlauf des Tages auszuleben. Nach dem Frühstück und Küchenarbeit wurden die Kinder so um 9:00 in die Schule gepackt und dann hatten wir eine Stunde Pause, die nutzte ich immer, um mich nochmal mit Debussy-Musik aufs Ohr zu hauen. Stille kann ja so schön sein…

Um 10:00 ging es für mich mit der Schule los. Die Kinder hatten alle Unterricht und waren unabhängig von den Fähigkeiten in Klassen passend zu den Altersstufen eingeteilt, so dass kein Kind ausgegrenzt wurde, was ich sehr positiv fand. Der Unterrichtsstoff war der gleiche, aber natürlich wurden die Kinder passend individuell gefördert. Daneben gab es immer Therapien wie Eurithmie, für nicht Walldorfler was absolut kurioses: Man erzählt immer irgendwelche Verse und bewegt sich dann mehr oder minder passend zu den Lauten: ‘ääähh…’ ist z.B. für Arme auseinander, bei ‘pffff…’ sticht man mit den Handflächen feinfühlig, aber doch beherzt in die Luft und bei ‘ttddööh’ stampft man wie ein Wahnsinniger auf den Boden. Naja die Eurithmie-Stunde endete dann immer damit, dass ein Kind der Klavierspielerin kräftig an den Haaren zerrte, das Mädchen daneben anfing zu heulen, immer der gleiche von der Entfernung beobachtende Junge mir mit seinen ‘oh dear’ Ansprachen seine Püppchen zeigte und sowieso überall ein absolutes Chaos herrschte. Eurithmie war immer am Dienstag, zum Glück war die Schule dann vorbei und es ging zum Mittagessen.

Mittag

Beim Mittagessen (engl. lunch) waren alle viel wacher als am Morgen. Das Mädchen mit der Schuh-Obsession lebte diese so richtig aus und versuchte die Pflanzen auf den Boden zu werfen, da sie wusste, dass dann alle mit ihr schimpften, was sie immer richtig cool fand und sich halb totlachte. An dem anderen Tisch wurde kräftig alles in sich reingestopft und Nick provozierte so richtig drauf los. Es war alles richtig was los, aber man hatte auch seinen Spaß, da die Situation doch hochkurios war. Das andere Kind, das ich zumeist betreute konnte man immer zum Lachen bringen, wenn man hustete oder nieste, was besonders im Winter, wo alle verschnupft waren, dazu führte, dass das Lachen kein Ende nahm. Das Essen wie jede Tagesmahlzeit dauerte immer eeewig: 50 Minuten. Anfangs beging ich immer den Fehler, schnell zu essen, was dazu führte, dass man sich zu Tode langweilte. Essen beschäftigt halt und so hab ich mir das schnecken-langsame Essen angwöhnt und es bis heute nicht ablegen können. Nach dem Mittag war wieder Abwaschen, ätzend!! 3x Abwaschen jeden Tag, was jeweils so 45 Minuten dauerte und die absolute Langweile war, Musik hören durfte man auch nicht, weil das angeblich die Kinder nervös gemacht hätte, muss ja kein Heavy Metal sein, aber was ist denn gegen leise/gute Klassik zu sagen, wo die Kinder sich auch immer außerhalb der Abwaschzeiten entspannen konnten? Schien einfach Camphill-Dogmatismus zu sein, Gründe sprachen nicht wirklich dagegen bzw. ein Versuch hätte man doch wagen können.

So nach dem Abwasch hatten wir die sogenannte ‘Rest-Hour’, wo alle Kinder oben in einen großen Raum gepackt wurden. Jeweils einer von uns jungen Co-Workern hatte dann Aufsicht einmal die Woche. Mein Los war Mittwoch: echt hart!! Es war jeden Mittwoch immer ein neue Herausforderung, wobei man nach einigen Monaten dann den Dreh raus hatte, den Vulkan vor sich in paffen zu lassen, ohne das er mit einem lauten Knall und Ärger ausbrach. Nach der Rest Hour waren die afternoon-workshops dran wie Schwimmen, Kerzengießen, Filzen etc.. Ich hatte immer zwei an der Zahl, der erste war die sogenannte Basketry. Konnte mir darunter bei meiner ersten Stunde nichts darunter vorstellen, aber dann: Ich öffnete die Tür und sah völlig verdutzt wie alle Körbchen flickten, wie man es halt aus Filmen kennt. Echter Hammer, hat aber eigentlich immer Spass gemacht. Der zweite Workshop war ehrlich gesagt nicht so dolle. Handwork: Rote Püppchen basteln, blaue Püppchen basteln, gelbe Püppchen basteln… gähhhn… wenn man alle Farben durch hatte fing es wieder von vorne an: rote Püppchen basteln, blaue Püppchen baste… zzz..zzzz.zzzzz. Tja, das war meine längste Stunde der Woche. Leider kam mir erst sehr spät die Idee, dass ich die Kinder besser mit Gitarre-Spielen unterhalten konnte und auch durfte.

Abend

Die dritte Mahlzeit (engl. supper) verlief ähnlich wie die anderen, nur dass man seine Energiereserven schon fast aufgebraucht hatte. Danach ging es mal wieder ‘going for a walk’ (wie so oft, wir kennen jetzt bestimmt jeden Grashalm auf Murtle Estate). Danach haben wir dann die Kinder ins Bett mehr oder minder verfrachtet und die Kinder sollten offiziell um 21:00 in ihren Zimmern sein und bestmöglich schlafen, wobei wir immer noch bis 23:00 Aufsicht hatten. Tja, das war der 15 Stunden-Arbeitstag. Danach hingen wir jungen Co-Worker meistens in der Küche rum, gingen in den Pub oder tanzten in der Stadt ab.

Samstag

Samstag war etwas anders im positiven Sinne, da die älteren Co-Worker und die Hauseltern hier ihren freien Tag hatten. War super entspannend, man musste sich nicht mehr so “vorbildlich” benehmen und die Kinder waren auch meist lockerer. Wurde viel mehr gelacht, wobei ich zugeben muss, dass in den ersten Wochen ohne die Hilfe der Älteren es schon eine Herausforderung war, die Kinder im Zaum zu halten. Samstags war auch nie Schule, deswegen war da immer Zeit zu spazieren, in die Stadt ins Kino zu gehen, Fussball oder Pool-Billard zu spielen. Samstag war ganz klar mein Lieblings-”Arbeitstag”.

Montag

Montag war auch anders im sehr sehr positiven Sinne, denn ich hatte hier meinen einzigen freien Tag der Woche. Kann Garfield hier also nicht ganz nachvollziehen. Die Dänin des Hauses Mie und Jan-Dirk, der auch wie ich seinen Zivi machte hatten da auch frei und dann ging es meistens in die Stadt Aberdeen, wo man sehr gut abschalten konnte. Viel Zeit verbrachte ich auch mit Gitarre üben und einige Male gab es dann wie damals in Berlin für ein Zubrot in Pfund in Altersheimen ein Vorspiel. Die Altersheime sind da übrigens echt anders, etwas ‘politer’ und es wird die ganze Zeit Tee getrunken. Das habe ich aber nur dreimal gemacht, da war mir Freizeit doch wichtiger als Geld. Ich kann den Montag als freien Tag nur empfehlen, gleich nach dem Sonntag wird man nicht sofort in den stressigen Wochenalltag geworfen.